Bd. 9 Nr. 01 (2024): ARTE/FAKT PROVENIENZ – Postkoloniale Perspektiven auf Objektbiographien, Sammlungen und Displays
Die aktuelle Ausgabe von GA2 ist aus dem Wintersemester 2022/23 hervorgegangen, einem Semester intensiver Auseinandersetzung über aktuelle Positionen und Ansätze der Provenienzforschung sowie über Restitutions- und Ausstellungspolitiken. Ermutigt durch die aktuelle Restitutionsdebatte und die Bemühungen des Kunstgeschichtlichen Instituts, den westlichen Kanon in der Lehre aufzubrechen, haben Studierende eine Auseinandersetzung mit Provenienz, Restitution und Display nicht-westlicher Künste angeregt. Zentrale Veranstaltung war eine wöchentliche Ringvorlesung mit dem Titel „RES(T)ITUIEREN: Provenienz, Sammlung, Verantwortung“ an der RUB, die bei Studierenden wie auch externen Gästen auf reges Interesse stieß und in der über die Bedeutung kulturellen Erbes, über Methoden der Provenienzforschung, die Funktionsweisen des globalen Kunsthandels, museale Restitutionserfahrungen und innovative post-koloniale Ausstellungskonzepte diskutiert wurde. Neben der Ringvorlesung wurde eine Reihe von Seminaren zum Semesterschwerpunkt angeboten, aus denen die hier versammelten studentischen Essays hervorgegangen sind. Während sich das Seminar „Africa Early Modern. Chimäre, Gedächtnis, Historiographie“ von Prof. Dr. Carolin Behrmann mit der Rekonstruktion der Objektbiografien von westafrikanischen Werken aus der Situation Kunst II befasste, untersuchten die Teilnehmer*innen des Seminars „‚Exotische’ Tiere. Tierbilder im Kontext von Kolonialismus und Globalisierung in der Frühneuzeit“ von Lee Chichester, M.A., die kolonialen Voraussetzungen für die Darstellung und Verwertung nicht-europäischer Tiere in der frühneuzeitlichen Kunst. Das Seminar „Kolonialismus/Moderne 1879–1950“ von Prof. Dr. Änne Söll schaute sich die Bedeutung kolonialer Raubkunst für die Entwicklung der europäischen Moderne an, und Prof. Dr. Markus Heinzelmann nahm mit seinem Seminar „Die Displays afrikanischer und asiatischer Kunst im Kontext der Situation Kunst“ aktuelle und historische Präsentationsweisen nicht-europäischer Künste in westlichen Museen in den Blick, um mit den Studierenden Vorschläge für eine Neuaufstellung der Werke in der Situation Kunst II zu entwickeln.
So widmen sich die hier abgedruckten Beiträge der Frage, mit welchen Methoden Objekte und Ausstellungsdisplays erforscht und neu gedacht werden müssten, um die in postkolonialen Theorien beschriebene Kontinuität kolonialer Herrschaftspraktiken in kulturellen Zusammenhängen kritisch zu reflektieren. Welche Fragen werfen Objekte auf, deren verbriefte Provenienzen und bisherige Bedeutungszuweisungen weitgehend auf den Wertschöpfungsstrategien und Koordinaten des Kunstmarktes beruhen? Was kann mit kunsthistorischen Methoden über ihre ursprüngliche Bedeutung herausgefunden werden? Wie weit können wir uns als westliche Betrachter*innen über die Beschreibung den Objekten nähern? Und wie haben sich jüngst Kurator*innen mit den Möglichkeiten geänderter Ausstellungsformen für Kulturgüter aus kolonialen Kontexten auseinandergesetzt?